Schlüssel der Zeit 1 (enthält die ersten drei E-Books der Serie)
Die Serie „Schlüssel der Zeit“ von Tanja Bruske ist eine spannende Mischung aus actionreicher Fantasy und Historienroman. Jeder Serienteil spielt in einem anderen Ort im Main-Kinzig-Kreis. Die einzelnen Teile erscheinen zunächst als E-Books, immer drei E-Books ergeben zusammen ein Taschenbuch.
Die ersten drei Teile von „Schlüssel der Zeit“ heißen „Der Ruf der Schlösser“, „Der Hexer von Bergheim“ und „Das Geheimnis der Kommende“ und spielen in Hanau, Langen-Bergheim und Rüdigheim. Sie entführen ins 19., 17. und 15. Jahrhundert.
Ein magischer Schlüssel steht im Zentrum der Saga „Schlüssel der Zeit“, die ihre Protagonistin Keyra und ihre Leser auf unglaubliche Abenteuer durch Raum und Zeit schickt. Keyra erfährt kurz nach ihrem 17. Geburtstag, dass sie eine ganz besondere Aufgabe hat. Ein geheimnisvoller Schlüssel, der Tore in andere Zeiten öffnet, hilft ihr dabei, Dinge „in Ordnung“ zu bringen. Das ist der Anfang einer Reihe unglaublicher Reisen in die Vergangenheit, während denen Keyra es unter anderem mit einer gestohlenen Urne, Hexenjägern und einem rücksichtslosen Ritter zu tun bekommt und von ihrer besonderen Bestimmung erfährt: Sie ist eine Zeitwächterin!
Leseprobe aus „Der Ruf der Schlösser“:
Auf der Kurpromenade, die Keyra und Anton wenig später erreichten, wimmelte es vor Menschen wie Ameisen auf einer Picknickdecke. Alle trugen die seltsame Mode des Jahres 1832. Jetzt, wo Keyra eine Erklärung dafür gefunden hatte, war sie entzückt über die Detailgenauigkeit, die diese Geschichtsbegeisterten an den Tag legten. David, der mit ihr zusammen im Geschichtskurs war, hatte einige Male begeistert von seinem Hobby „Reinactment“ erzählt. Keyra hatte ihn wie die meisten anderen belächelt. Sie hatte gedacht, dass er sich mit ein paar anderen Geschichts-Nerds in Plastik-Ritterrüstung auf der Ronneburg um ein Lagerfeuer setzen und Mittelalter spielen würde. Aber das hier war etwas völlig anderes.
Die Fassade am Rand des Parkes bestand aus mehreren Gebäuden: Im Zentrum befanden sich ein imposanter Arkadenbau und das Kurhaus im spätbarocken Stil, links und rechts davon zweigeschossige Pavillons. Ganz außen stand das Comoedienhaus, ein Theater, in dem Keyra schon zwei Mal mit der Schultheatergruppe auf der Bühne gestanden hatte. Vor dieser Kulisse wirkten die historisch Gekleideten besonders beeindruckend.
„Das habt ihr ja wirklich sehr professionell aufgezogen“, sagte Keyra anerkennend und wies auf einen Burschen, der mit einem hölzernen Bauchladen auf einer steinernen Bank stand und lautstark ein Flugblatt anpries.
Keyra ließ sich eines davon reichen. Darauf gedruckt war ein Kupferstich. Im Zentrum des Bildes stand ein Pferdewagen mit uniformierten Menschen, der sich auf einen Tempel zubewegte und andere Gestalten und eine düstere Burg hinter sich zurückließ. Dabei beobachtet wurden sie von Lichtgestalten auf einer Wolke, die darüber schwebte. Unter dem Bild stand in verschnörkelter Schrift: ‚Der Sieg des Bürgerthums oder der Kampf der neuen mit der alten Zeit‘.
„Naja, wir geben uns Mühe“, sagte Anton und wurde ein bisschen rot. „Du weißt ja bestimmt, dass politische Veranstaltungen eigentlich verboten sind – deswegen hatte Reh die Idee, den Tag heute als Fest anzukündigen. Aber natürlich wollen wir heute an diesem großen Tag ein Zeichen gegen die staatliche Unterdrückung setzen.“
„Reh?“, fragte Keyra und strich gedankenverloren über das Faltblatt.
„Theodor Reh – er hat das Fest heute organisiert, zusammen mit den Obergerichtsanwälten Blachiere, Emmerich und Manns, dem Pfarrer Merz und den Herren Brand, Häußler, Leisler und Pelissier. Aber Reh hatte die Idee. Er kommt aus Darmstadt. Ich habe ihn an der Frankfurter Universität kennengelernt, wo er eine Rede gehalten hat.“
Keyra riss die Augen auf. „Du bist schon an der Uni?“
Anton grinste. „Im ersten Semester, Rechtswissenschaften. Mit der Burschenschaft war ich vor ein paar Wochen auf dem Hambacher Fest.“ Er senkte die Stimme. „Mein Vater weiß nichts davon, dass ich mich politisch engagiere. Und das soll auch so bleiben.“
Keyra grinste. Der Typ war ja wirklich total in seiner Rolle drin. „Ich verrate nichts“, versprach sie.“
„Jedenfalls hatte ich seitdem immer mal wieder mit Reh Kontakt – vor allem, als bekannt wurde, dass er das Fest in Hanau ausrichten will. Da konnte er natürlich jemanden wie mich gebrauchen, der sich hier auskennt.“ Stolz schwang in Antons Stimme mit.
„Klar – vor allem bei so vielen Leuten“, meinte Keyra.
„Oh, es kommen wahrscheinlich noch mehr. Karl von Rotteck – das ist auch einer der Organisatoren – hat vorgeschlagen, dass das Fest an einem Freitag stattfinden soll, damit nicht zu viele Exaltierte hier erscheinen.“
„Exaltierte?“, fragte Keyra stirnrunzelnd.
Anton hob abwehrend die Hände. „Seine Worte, nicht meine. Er meint Radikale. Industriearbeiter und Handwerker. Du weißt schon, damit es nicht zu Aufständen kommt.“ Anton sah sich um. „Sein Plan ist wohl nicht ganz aufgegangen“, meinte er angesichts verschiedener Gruppen von einfach gekleideten Arbeitern, die auf der Promenade zu sehen waren. Auch viele Uniformierte standen dort. Ob sie Militär oder Polizei darstellen sollten, wusste Keyra nicht. Sie wollte gerade danach fragen, als Anton fortfuhr: „So, wie es aussieht, kommen wohl noch mehr Menschen hierher. Dabei sind die Redner noch gar nicht eingetroffen.“
Keyra kramte in ihrem Gedächtnis nach den Namen, die sie für ihre Hausaufgaben aus dem Internet gefischt hatte. „Soll nicht Heinrich Brüggemann kommen, dieser Student?“
Anton strahlte. „Du hast von ihm gehört? Ich habe ihn in Hambach getroffen. Seine Worte waren so inspirierend, obwohl seine Forderungen natürlich recht radikal sind.“ Keyra merkte Anton eine gewisse Verehrung an, als er von Brüggemann sprach. „Er will tatsächlich auch kommen, aber ob er auch redet, weiß ich nicht. Vor allem sollen Reh und der Theologe Bernhard Dehnhard sprechen. Heute Morgen gab es bereits eine Versammlung in der Hanauer Krämergasse vor dem Gasthaus ‚Zur goldenen Schachtel‘. Ich wäre auch gerne dorthin gegangen, aber mein Vater hat mich verdonnert, ihm hier zu helfen.“ Anton verzog das Gesicht. „Ich wäre gerne dabei gewesen, wenn es darum geht, den Geist der Verbrüderung unter den deutschen Volksstämmen zu stärken und für die Einigkeit Deutschlands zu kämpfen.“
„Das kannst du ja später noch“, sagte Keyra und bemühte sich, nicht zu grinsen. „Und wann kommen die wichtigen Leute jetzt nach Wilhelmsbad?“
„Sie sollen jetzt gleich gegen Mittag mit dem Zug am Bahnhof eintreffen“, sagte Anton. „Ich bin schon sehr aufgeregt.“
„Merkt man kaum“, sagte Keyra trocken. Während des Gesprächs hatte sie Ausschau nach ihrem Vater gehalten, konnte ihn aber nirgends entdecken. In seiner blauen Latzhose wäre er sicher aufgefallen. In normaler Kleidung würden ihn die Veranstalter sicher nicht zu diesem Geschichtsszenario einlassen.
Keyra wünschte sich indessen ebenfalls ihr T-Shirt zurück. „Es ist ganz schön warm geworden, oder?“, fragte sie Anton und fächelte sich Luft zu. „Ungewöhnlich für die Jahreszeit.“
„Wieso? Ich finde es für einen Sommertag eher kühl.“
Keyra blieb stehen und starrte ihn an. Ein Sommertag? Ihr fiel wieder ein, dass sie kurz den Verdacht gehabt hatte, sie könnte für mehrere Tage betäubt gewesen sein. Aber mehrere Monate? Und hatte er vorhin nicht etwas von einem Freitag gesagt? Sie brauchte Gewissheit.
„Anton, bitte sei mal kurz ernst und hör auf mit dem Living-History-Kram“, flehte sie.
Anton musterte sie, als ob er nun endgültig an ihrem Verstand zweifelte. „Mit was soll ich aufhören?“
Keyra fuhr fort. „Sag mir einfach, was wir heute für ein Datum haben.“Wir haben den 22. Juni“, sagte er. „Was denkst du denn?“
„Juni“, wiederholte sie schwach. Natürlich, das Wilhelmsbader Fest war am 22. Juni gewesen, das hatte so auch im Internet gestanden. „Du verarschst mich jetzt nicht?“
Anton blickte einigermaßen schockiert und lachte dann. „Was sind denn das für Worte aus dem Mund einer Dame?“
Keyra war nicht zum Lachen zumute. „Bitte, es ist kein Spaß für mich. Ist wirklich schon der 22. Juni?“ Dann musste ihr unbekannter Entführer sie über Wochen festgehalten haben. Ihr Vater und ihre Großmutter waren sicher außer sich vor Sorge. Aber warum erinnerte sie sich an nichts?
Anton verdrehte die Augen und hielt einen etwa zehnjährigen Zeitungsjungen an, der an ihnen vorbeisauste. Er kramte in der Hosentasche, drückte dem Bub ein paar Münzen in die Hand und bekam dafür eine Zeitung. „Hier! Die Zeitung ist von heute, da siehst du es!“
Keyra nahm die Zeitung mit zitternden Fingern entgegen und sah auf die Titelseite. ‚Hanauer Zeitung. Tagblatt für Politik, Literatur, Handel, gesellige Unterhaltung und Bekanntmachungen‘, lautete der Titel. Und darunter stand: ‚No. 174. Freitag, den 22. Juni. 1832. Mit kurfürstlich hessischem allergnädigstem Privilegium‘.
Das Papier, auf dem ein Bericht über den Bendéekrieg in Frankreich und die Rekrutierungsgesetzte in Polen standen, war weder alt noch vergilbt. Keyra blätterte weiter und sah im ‚Archiv für Unterhaltung‘ einen Fortsetzungsroman mit dem Titel ‚Das Bild‘. Die Druckerschwärze war so frisch, dass sie dunkle Spuren an Keyras Fingern hinterließ. Die vierte und letzte Seite zeigte unter anderem eine Anzeige, die dafür warb, dass es die Festlieder zum 22. Juni in Wilhelmsbad bei Friedrich König zu erwerben gäbe. Außerdem wurde dort angekündigt, dass ‚heute den 22. Juni‘ Ball und Gartenillumination sei und aus diesem Anlass die ‚rühmlichst bekannte Steyerische National Sängerin Maria Jansa aus Bruck‘ zu hören sei.
Das kann nicht sein, dacht Keyra. Sie klammerte sich an eine letzte Möglichkeit.
„Habt Ihr die Zeitung extra drucken lassen?“, fragte sie. Ihre Lippen fühlten sich taub an.
„Das Wochenblatt erscheint jeden Donnerstag, und wir haben keinen Einfluss auf das, was darin steht – für die liberale Bewegung ist Pressefreiheit ein hohes Gut“, sagte Anton entrüstet.
Mit wachsender Panik sah sich Keyra um. Eben hatte sie das Treiben ringsum noch für ein charmantes Hobby von Geschichtsbegeisterten Freaks gehalten. Jetzt sah sie ihre Umgebung mit anderen Augen. Sie bemerkte die alltäglichen Gebrauchsspuren an der Kleidung, sah Details, die die Gebäude hier von jenen, die sie kannte, unterschieden. Es roch auch anders, die Luft war klarer und gleichzeitig geruchsintensiver. Fehlende Autos, dachte Keyra. Und fehlende Kanalisation. Gleicht sich wieder aus.
Wie hatte sie nicht bemerken können, dass es keine elektrischen Straßenlaternen gab? Und dass keine Flugzeuge am Himmel zu sehen waren – bei der Nähe zum Frankfurter Flughafen etwas, das selten bis nie vorkam.
Verdammt, das ist alles echt!