Eifersucht, Spessarträuber und die Familie Grimm – damit konfrontiert die Hammersbacher Autorin Tanja Bruske ihre Romanheldin Lisa im zweiten Teil der Kinzigtal-Trilogie. „Tod am Teufelsloch“ heißt die am 9. September im mainbook-Verlag erscheinende Fortsetzung von „Leuchte“, die erneut ins 18. Jahrhundert entführt – doch dieses Mal in den östlichen Teil des Main-Kinzig-Kreises. In Steinau an der Straße findet sich Lisa wieder, und ausgerechnet im Haushalt der Familie Grimm. Erneut hat es sie in die Vergangenheit verschlagen, und wie beim ersten Mal kreuzt schon bald der Tod ihren Weg. Am Teufelsloch, einem unheimlichen Platz im Wald, werden Mädchenleichen entdeckt, und auch die Spessarträuber treiben ihr Unwesen. Im historischen Steinau an der Straße trifft Lisa wieder einmal auf historische Gestalten – darunter die Brüder Grimm, das berühmte Preußje von Schlüchtern und den berüchtigten Schulmeister Zinkhan. Dabei will sie doch eigentlich nur eins: ihre große Liebe Jonas Faust wiederfinden. Doch obwohl sie nun die Zeit nicht mehr trennt, gibt es andere scheinbar unüberwindbare Hindernisse – immerhin freundet sich ausgerechnet Ruth, Jonas erste Liebe, mit ihr an. Eigentlich hatte Tanja Bruske gar nicht vor, eine Fortsetzung ihres Romanes „Leuchte“ zu schreiben. Doch noch bevor der Roman 2013 veröffentlicht wurde, entstand in ihrem Kopf die Idee, wie es mit Lisa weitergehen könnte – und das, wie der Untertitel „Kinzigtal-Trilogie“ verrät, nicht nur in einem Buch in „Fratzenstein“ will sie Lisas Geschichte zum Abschluss bringen.. Dass sich die Autorin für den zweiten Teil das Städtchen Steinau und die Umgebung aussuchte, ist kein Zufall – durch ihren Beruf als Redakteurin bei der Gelnhäuser Neuen Zeitung lernte sie die Region kennen und ist fasziniert davon, dass die Geschichte und die Geschichten der berühmten Märchensammler hier zum Greifen nah erscheinen – unter anderem durch das Brüder-Grimm-Museum im alten Amtshaus der Stadt, in dem auch ein Großteil der Romanhandlung angesiedelt ist.
Leseprobe (aus dem Kapitel „Teufelsloch“)
Lisa erwachte, weil ihr kühl wurde. Verschlafen blickte sie zum Himmel. Die Sonne war von Wolken verdeckt worden. Doch es sah nicht so aus, als würde es zu regnen beginnen, und bestimmt würden die Wolken bald weiterziehen. Lisa setzte sich auf und zählte gewohnheitsmäßig die Kinder durch. Sie erschrak. Es waren nur vier. Ferdinand fehlte. Sie sprang auf die Füße und sah sich nach dem dunkelblonden Haarschopf um. Er war nirgendwo zu entdecken. Rasch weckte sie Jonathan. „Ferdinand ist weg. Ich will die Herrin nicht beunruhigen, hilf mir suchen.“ Jonathan war sofort hellwach und auf den Beinen. Er suchte die eine Hälfte der Wiese ab, Lisa die andere. Ferdinand blieb verschwunden. Schließlich blieb ihnen nichts anderes übrig, als Dorothea Grimm doch zu wecken, die augenblicklich panisch die Hände vor den Mund hielt und sie aus angsterfüllten Augen anschaute. „Bleibt ruhig, Frau Grimm! Wir finden den Jungen schon“, sagte Jonathan fest und schärfte ihr ein, mit den anderen Kindern, die nun ebenfalls erwachten und sich ängstlich umblickten, an Ort und Stelle zu bleiben. „Wir müssen tiefer in den Wald hinein und ihn rufen.“ Jonathan schickte Lisa bergan, er selbst ging bergab. Lisa rannte los, zwischen Buchen und Eschen hindurch, immer wieder Ferdinands Namen rufend. Während ihr Rennen aus Konditionsgründen bald zu einem schnellen Gehen wurde, suchte sie den Wald links und rechts nach Anzeichen eines Kleinkindes ab – erfolglos. Sie machte sich Vorwürfe. Wie hatte sie bei diesem Teufelsbraten davon ausgehen können, er schlafe friedlich? Die Bäume standen nicht sonderlich dicht, doch der Boden war von Dornengestrüpp überwuchert. „Ein Königreich für meine Jeans“, murrte Lisa. Wie weit konnte ein Dreijähriger in diesem unwegsamen Gelände kommen? Vor ihr wurde der Wald lichter, und Lisa erkannte, dass er sich dort erneut zu einer kleinen Wiese öffnete. Während sie darauf zuging, hörte sie hinter sich, aus weiter Ferne, Jonathans Stimme: „Lisa. Ich habe ihn. Komm zurück!“ Lisa blieb stehen, stützte sich an einem Baumstamm ab und atmete tief durch. Die raue Rinde drückte sich in ihre Handfläche. „Na Halleluja!“, stieß sie aus, bevor sie rief: „Ich komme!“ Sie wollte sich schon umwenden, als sie ein Raunen zu hören glaubte. Es kam von der Lichtung. Lisa blieb stehen und lauschte. Stille. Hatte sie sich das Geräusch nur eingebildet? Sie kniff die Augen zusammen. Im hellen Grün des Frühlingsgrases blitzte etwas Rotes auf. Da war das Geräusch wieder – kein wirklicher Ruf, sondern ein wortloses Wispern. Lisa fühlte, wie sich die Haare in ihrem Nacken aufrichteten. Jede Faser ihres Körpers schrie danach, sich umzudrehen und zu Jonathan, Dorothea und den Kindern zurückzurennen. Doch sie tat es nicht. Wie an einem unsichtbaren Gummiband gezogen bewegte sie sich auf die Lichtung zu. Als Lisa zwischen den Bäumen hervortrat, sah sie das Loch. Es sah harmlos aus. Doch dort, in der Mitte der Lichtung, schien das andere Ende des unsichtbaren Gummibandes zu verschwinden, das Lisa vorwärts zog. Und von dort kam das wortlose Raunen. Lisa ging einige Schritte auf das Loch zu. Es war nicht kreisrund, sondern unregelmäßig geformt wie ein aufgerissener Schlund. Aus dem Augenwinkel sah Lisa etwas im Gras aufblitzen. Sie wandte den Kopf und sah hin. Und das Gummiband riss. Lisa blieb wie angewurzelt stehen. Etwas Rotes fiel ihr auf. Das Schockierendste war, dass das Mädchen so jung war. Zwölf, vielleicht dreizehn Jahre alt. Ein Kind. Wie sie dort im Frühlingsgras lag, die braunen Locken wie einen Heiligenschein um den Kopf ausgebreitet, dachte Lisa zuerst, sie würde schlafen, hätte sich zu einem Nickerchen hingelegt, wie sie und die anderen es auch vor Kurzem getan hatten. Doch man schlief nicht mit offenen Augen. Und wenn man schlief, atmete man weiter. Ein Schrei zerriss die Stille des Waldes. Ein Schwarm Krähen, der in einem Baum nicht weit entfernt gesessen hatte, flatterte auf und flog davon. Lisa bemerkte, dass sie es war, die schrie. Und sie konnte nicht mehr aufhören. Sie stand nur da, starrte das tote Kind an und schrie. Sie schrie auch noch, als Jonathan vollkommen außer Atem die Lichtung erreichte. Statt ihm auf seine verstörte Frage zu antworten, schrie sie weiter. Jonathan folgte ihrem Blick, und Entsetzen zeichnete sich in seinem Gesicht ab. Erst, als er einen Zipfel des purpurroten Mantels nahm, auf dem das Kind gebettet lag, und damit die toten Augen des Mädchens verdeckte, verwandelten sich Lisas Schreie langsam in jammervolle Schluchzer.